Die Nachricht traf München wie ein Schlag: Die weltberühmte Eisbachwelle, seit Jahrzehnten Symbol für Freiheit, Mut und urbane Lebensfreude, ist verschwunden – und sie könnte es bleiben. Nach der jährlichen Bachauskehr Ende Oktober hat sich die künstlich erzeugte Welle im Eisbach dieses Mal nicht wieder aufgebaut. Was zunächst wie eine technische Panne wirkte, entwickelt sich zu einem kulturgeschichtlichen Drama: Die vielleicht berühmteste Flusswelle der Welt steht vor dem Aus.

Ein Stück Münchner Seele

Mitten in der Stadt, direkt am Eingang des Englischen Gartens, rauschte jahrzehntelang das Wasser der Isar in einer perfekten Kurve über Betonplatten – und formte die legendäre stehende Welle. Surfer aus aller Welt kamen hierher, um auf eineinhalb Metern Höhe ihr Können zu zeigen. Selbst bei Schneefall standen sie im Neoprenanzug auf dem Brett, begleitet von jubelnden Zuschauern am Ufer. Die Eisbachwelle war weit mehr als ein Sportplatz. Sie war Treffpunkt, Kultstätte und Symbol für Münchens weltoffenen Charakter. 2024 wurde sie sogar in die „Top 100 der schönsten Strände der Welt“ aufgenommen – als einziger Ort Deutschlands.

Doch seit Anfang November 2025 herrscht gespenstische Stille. Statt der vertrauten Gischt: nur flaches, unruhiges Wasser. Experten vermuten, dass bei der Reinigung des Bachbetts zu viel Sediment und Moos entfernt wurde, wodurch der Wasserfluss nicht mehr optimal auf die darunterliegenden Schwellen trifft. Andere verweisen auf den ungewöhnlich niedrigen Pegel der Isar.

Die Stadt München arbeitet gemeinsam mit dem Wasserwirtschaftsamt und der Surfergemeinschaft fieberhaft an einer Lösung. Am 5. November wurde testweise der Wasserstand erhöht – ohne Erfolg. „Die Parameter, die im Fließgewässer die Welle bilden, sind hochkomplex“, erklärte Oberbürgermeister Dieter Reiter. „Wir tun alles, um sie wiederzubeleben.“ Doch hinter den Kulissen wächst die Sorge: Sollte sich das Fließverhalten dauerhaft verändert haben, könnte die Eisbachwelle Geschichte sein.

Die Geschichte der Welle begann rebellisch. In den 1970er-Jahren befestigten Münchner Surfpioniere Bretter an Brücken, um kurzzeitig über die Strömung zu gleiten. In den 1980ern baute der legendäre „Hausmeister“ Walter Strasser Eisenbahnschwellen ins Flussbett – heimlich, in einer Nachtaktion. Damit schuf er die Grundlage für das, was München später weltweit berühmt machen sollte. Erst 2009 wurde das Surfen am Eisbach nach jahrzehntelangem Verbot offiziell erlaubt. Es war ein Sieg der Bürger über die Bürokratie – und ein Symbol dafür, wie Kultur aus Leidenschaft entsteht.

Für viele Münchner ist das Verschwinden der Welle ein emotionaler Einschnitt. „Ohne sie verliert München ein Stück seiner Seele“, sagt die Surferin Petra Offermanns, die 2008 an der Legalisierungskampagne beteiligt war. Tourismus-Experten fürchten zudem wirtschaftliche Folgen: Die Eisbachwelle war ein Magnet für Besucher aus aller Welt, vergleichbar mit dem Eiffelturm für Paris. Doch jenseits aller Zahlen bleibt ein Gefühl der Wehmut. Wo einst Wasser in kraftvoller Bewegung rauschte, herrscht nun Stille – ein Mahnmal dafür, wie zerbrechlich urbane Naturwunder sein können.

Auch ohne Welle lohnt sich ein Besuch: Der Englische Garten mit Monopteros, Chinesischem Turm und Kleinhesseloher See zeigt München von seiner poetischen Seite. Direkt neben dem Eisbach lädt das Haus der Kunst zu internationaler Gegenwartskunst ein – und vielleicht zu einem stillen Moment der Erinnerung an eine Bewegung, die hier einst Wellen schlug.